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Idylle? Idylle!

Idylle? Unsere digitalisierte Gesellschaft kennt sich mit «apps», «upgrades» und «swifts» besser aus als mit poetischen Begriffen. Oder doch nicht? Die Namen der Apple Betriebssysteme wie «Panther», «Snow Leopard» oder «El Capitan» suggerieren kraftvolle Wildnis, zum Ausdruck kommt damit jedoch eine verhöhnende Kombination aus der Unverkäuflichkeit der Natur und dem marktbeherrschenden Auftritt einer «Wildkatze» aus dem Silicon Valley. Mit dem Wort Idylle verknüpfen wir Bilder von blühenden Obstgärten, einsamen Waldlichtungen, verwunschenen «enclos» inmitten eines grossen Parks, von Stallruinen auf verbuschten Alpweiden oder leicht verwilderten Bauerngärten. Der Ausdruck hat sich bis in die heutige Zeit gehalten und doch erheblich in seiner Symbolkraft gewandelt.

Die Hirtengedichte Idyllen des Theokrit aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. offenbaren eine Idealisierung des einfachen Landlebens, das in Kontrast stand zum Stadtleben der höheren Gesellschaftsschichten seiner Zeit, welches sich auf engem Raum abspielte. Das Wort Idyll, abgeleitet vom griechischen eidyllion, kann als Kleinheit und Einfachheit, räumlich wie auch ausdrucksmässig (beispielsweise als einfache Versform) verstanden werden. In Salomon Gessners (1730?1788) Gedichtsammlung Idyllen von 1756 wird keine nostalgische Rückbesinnung auf ein goldenes Zeitalter beschworen. Vielmehr wird Kritik am Stadtleben und einer ungerechten urbanen Gesellschaft geübt, ähnlich wie zuvor schon (1502/4) bei Jacopo Sannazaros (1458?1530) Arcadia. Die Idealisierung des einfachen Lebens und des Hirtendaseins war bei Gessner im Sinne der Forderung nach Frieden und Gleichheit eine Art Sozialutopie.

Die heutige Suche nach arkadischer Idylle scheint durch schwere Schuldgefühle motiviert zu sein. Nachdem wir der Kulturlandschaft und vielen ländlichen Orten den Stempel des Wirtschaftlichen, Rationalen und Funktionalen aufgedrückt haben, ist uns auch das reale Abbild Arkadiens entglitten. Gleichzeitig ist das Bedürfnis virulent geworden, poetische Orte zu bewahren, und dies nicht als bloss luxuriöses Sehnen abzuwerten.

Nicht die bauliche Verdichtung zerstört die ländliche Idylle, sondern unsere Unfähigkeit, räumliche Idylle zu schaffen. Dabei beginnt Arkadien mit dem Blick über den Gartenzaun, über die Grenze des Eigentums hinweg. Dort tauchen sie, auch in unserem Umfeld, urplötzlich auf, die kleinen Naturinseln am Wegrand, die Grasstreifen entlang der Zäune, die niemand mähen muss, die alte Sitzbank beim Obstbaum an einer Weggabelung, die von Efeu überwachsene Mauer oder das blühende Bahnbord. In diesen Momenten der Begegnung werden Orte sinnlich-poetisch aufgeladen und zu arkadischen Idyllen.

Bild: Wikimedia commons

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